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zu enttäuschen. Auf jeden Fall würde sie alles geben. Das war ihre
große Chance. »Illustriert von Rosalie Laurent«. Sie fühlte jetzt
schon einen unbändigen Stolz in sich aufsteigen. Ihre Mutter würde
Augen machen. Und Tante Paulette erst  ach die arme Tante
Paulette! Wie schade, dass sie nichts mehr sah!
Noch wusste keiner von ihrem Auftrag. Außer René natürlich.
»Cool«, hatte er gesagt. »Da wirst du ja noch richtig berühmt.« Das
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war etwas, das sie an René mochte. Er freute sich, wenn ihr etwas
gelang, und hätte ihr niemals etwas geneidet. Er war keiner, der
sich mit anderen verglich, und das war wohl  neben dem vielen
Sport  das eigentliche Geheimnis seiner Ausgeglichenheit, auch
wenn er gewiss nie darüber nachdachte.
Als sie jetzt in den Hausflur trat, machte ihr Herz einen freudigen
Satz. Schon von weitem entdeckte sie den großen weißen Umschlag,
der zur Hälfte aus dem Briefkasten ragte, und wusste sofort, dass es
das Manuskript des Kinderbuchautors war.
Es gab Tage, die waren so perfekt, dass selbst der Briefkasten nur
Schönes zu bieten hatte!
Mit klopfendem Herzen drückte Rosalie den Umschlag an ihre
Brust. Sie brannte darauf, die Geschichte zu lesen, und ging raschen
Schrittes in den Laden zurück. Doch das schöne Wetter hatte die
Menschen an diesem Samstag schon früh auf die Straße gelockt,
und bevor Rosalie den Umschlag noch öffnen konnte, betrat eine
junge Frau den Laden, die für ihr Patenkind einen Füller kaufen
wollte und sich ausführlich beraten ließ, bevor sie schließlich mit
einem dunkelgrün marmorierten Waterman-Federhalter
verschwand.
Den ganzen Tag über war die Papeterie gut besucht. Die Kunden
kamen und gingen, kauften Postkarten und Geschenkpapier,
Lesezeichen und kleine Spieluhren oder Schokoladen mit Zitaten
berühmter Dichter. Einige gaben Bestellungen für Wunschkarten
auf. Immer wieder bimmelte die kleine Silberglocke, die über der
Ladentür hing, und Rosalie musste ihre Ungeduld bezähmen, bis
endlich gegen Abend der letzte und jüngste Kunde gegangen war:
ein zehnjähriger Junge mit rotem Haarschopf und Sommer-
sprossen, der seiner Mutter zum Geburtstag einen Briefbeschwerer
schenken wollte und sich einfach nicht entscheiden konnte.
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»Soll ich das Rosenherz nehmen? Das Kleeblatt? Oder das Segel-
schiff?«, fragte er immer wieder, und seine Augen ruhten begehr-
lich auf dem Briefbeschwerer mit dem alten Dreimaster. »Was
meinen Sie, würde Maman ein Segelschiff gefallen? So ein Schiff ist
schon was Tolles, oder?«
Rosalie musste lächeln, als er sich im letzten Moment schließlich
doch noch für das Herz aus Rosen entschied. »Eine gute Wahl«,
sagte sie. »Mit Herzen und Rosen liegst du immer richtig bei den
Frauen.«
Endlich war es still im Laden. Rosalie schloss die Tür ab, ließ das
Gitter herunter und leerte die Kasse. Dann nahm sie den weißen
Umschlag, der den ganzen Tag auf dem Weichholztisch gelegen
hatte, und stieg nach oben in ihr kleines Reich. Sie ging in die win-
zige Küche, setzte den Wasserkessel auf und nahm ihre Lieblings-
tasse aus dem Regal über der Spüle, ein Einzelstück aus der Serie
L Oiseau bleu von der Porzellanmanufaktur Gien, die sie mal auf
dem Flohmarkt ergattert hatte.
Sie setzte sich auf ihr französisches Bett, das ein blau-weiß
gemusterter Grandfoulard mit dazu passenden großen und kleinen
Kissen tagsüber in ein Sofa verwandelte, knipste die Stehlampe an
und nahm einen Schluck Thé au citron.
Der weiße Umschlag lag verheißungsvoll neben ihr. Rosalie
öffnete ihn behutsam und zog das Manuskript heraus, an das eine
Visitenkarte mit ein paar handschriftlichen Zeilen geheftet war.
Liebe Mademoiselle Rosalie, es hat mich gefreut, Ihre Bekan-
ntschaft zu machen. Hier kommt nun »Der blaue Tiger« zu Ihnen.
Bin gespannt, was Ihnen dazu einfällt, und erwarte bald Ihre
Vorschläge.
Herzlich, Max Marchais
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PS.: Grüßen Sie William Morris von mir, ich hoffe, er hat sich von
dem Schrecken erholt.
Rosalie lächelte. Nett, dass er den Hund erwähnte. Und dann die
Anrede  Mademoiselle Rosalie. So altmodisch. Gleichzeitig re-
spektvoll und persönlich, fand sie.
Sie zog sich ein paar Kissen zurecht und lehnte sich zurück, die
Manuskriptseiten auf den Knien.
Und dann begann sie endlich zu lesen.
Max Marchais
DER BLAUE TIGER
Als Héloïse acht Jahre alt wurde, geschah etwas ganz und gar
Seltsames. Etwas, das kaum zu glauben war und doch genau so
passierte.
Héloïse war ein lebhaftes Mädchen mit blondem Haar und grün-
en Augen, einer lustigen sommersprossigen Nase und einem et-
was zu großen Mund, und wie die meisten kleinen Mädchen hatte
sie sehr viel Phantasie und dachte sich oft abenteuerliche
Geschichten aus.
Sie glaubte fest daran, dass ihre Stofftiere nachts heimlich
miteinander sprachen und dass es in den Glockenblumen im
Garten kleine Elfen gab, die so winzig waren, dass sie für das
menschliche Auge nicht erkennbar waren. Sie war sich beinahe
sicher, dass man auf Teppichen fliegen konnte, wenn man nur
das Zauberwort kannte, und wenn man ein Bad nahm, musste
man achtgeben, dass man die Badewanne verließ, bevor man den
Stöpsel zog, damit einen der gierige Wassergeist nicht durch den
Abfluss ziehen konnte.
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Héloïse wohnte mit ihren Eltern und ihrem Hündchen Babu in
einer hübschen weißen Villa am Stadtrand von Paris, ganz in der
Nähe des Bois de Boulogne, der ein riesiger, riesiger Park ist, ei-
gentlich schon eher ein Wald. Sonntags kam Héloïse oft mit ihren
Eltern hierher, um ein Picknick zu machen oder Boot zu fahren,
aber ihr Lieblingsplatz waren die Jardins de Bagatelle, ein kleiner
verwunschener Park mit einem wunderbaren Rosengarten. Wie
es dort duftete! Héloïse holte immer ganz tief Luft, wenn sie dort
spazieren gingen.
Im Parc de Bagatelle gab es auch ein kleines Schloss. Es hatte
das zarteste Rosa, das man sich nur vorstellen kann, und
Héloïses Papa hatte erzählt, dass es vor langer Zeit in nur vier-
undsechzig Tagen von einem jungen Grafen für eine Königin
erbaut worden war.
Héloïse, die auch sehr gern eine Prinzessin gewesen wäre, fand
das sehr beeindruckend. »Wenn ich einmal groß bin, werde ich
nur einen Mann heiraten, der mir auch in vierundsechzig Tagen
ein Schloss baut«, hatte sie ausgerufen, und ihr Vater hatte
gelacht und gemeint, dann wäre es wohl von Vorteil, einen Ar-
chitekten zu heiraten. [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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